Intelligenz als Systemfehler

Intelligenz als Systemfehler?

5 Min.

Rheinpfalz, Ausgabe vom 14. Juni 2024, von Cosima Schade.

Am Mittwoch feierte die Gesellschaftskomödie „Fehler im System“ von Folke Braband in Freinsheim beim „Theader-Sommer-Freinsheim“ Premiere. Eine rasante Verwechslungskomödie mit Tiefgang um die Themen Gender, Grenzen künstlicher Intelligenz und um die Frage, was den Menschen zum Menschen macht. Konzentrierte Stille, Lacher und nachdenkliche Minuten.

Eigentlich hat Brabands bereits 2016 in Berlin uraufgeführte Komödie, lange bevor man mit Chat GPT in natürlicher Weise kommunizieren konnte und vor dem Film „ich bin Dein Mensch“, in dem es um eine Liebesbeziehung einer Frau mit einem humanoiden Roboter geht, alle Elemente eines Boulevardtheaterstückes:

Emma hat sich gerade von ihrem Macho-Lover Oliver getrennt und ihn aus der Wohnung geworfen. Doch dann erscheint sein Double, Oliver 4.0., auf der Bildfläche. Ein humanoider Roboter, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz, trainiert mit ihren Daten, die sie unwissentlich im Internet hinterlassen hat. Er ist „intelligent, mit hintergründigem Humor“, elegant gekleidet, mehrsprachig und- ein Haushaltsroboter. Ganz nach ihren Wünschen.

Doch dann entwickelt die Künstliche Intelligenz selbstständig Gefühle. Sie verlieben sich ineinander, haben sogar Sex. Diese Entwicklung führt zu einer automatischen Fehlermeldung an die Herstellerfirma. Gefühle und Bewusstsein sind nicht vorgesehen. Ein Techniker kommt, um den „mutierten“ Roboter abzuholen und ihn neu zu konfigurieren. Versehentlich nimmt dieser aber den echten Oliver mit. Der Fehler fällt auf, der Techniker kommt wieder, nimmt diesmal Lea mit, Emmas Vater, der sich aber als Frau fühlt und sich gerade geschlechtsangleichenden Prozeduren unterzieht…

Die Freinsheimer Inszenierung des Theaters der Liebe, zuvor Theader Freinsheim, macht aus dem Sujet ein poetisches, nachdenkliches Stück mit Lokalkolorit voller Humor – inklusive Schorle mit Dubbeglas. In der ersten Szene tanzt Anja Kleinhans, die die Emma spielt, alleine mit ihrem Schatten zu Musik. Man sieht sie von hinten. Dieselbe Melodie wiederholt sich in Situationen, in der sie dem Roboter emotional näherkommt. Am Ende des Stückes wird das Motiv wieder aufgenommen, sie tanzt wieder alleine, diesmal in rotes Licht getaucht. War ihre Liebe zu einem Roboter, der so konfiguriert ist, dass er ihren Vorstellungen entspricht, nur ein Traum? Der Traum vom perfekten, unkomplizierten Mann, mit dem man sich nicht auseinandersetzen muss?

Ebenso bemerkenswert ist die Darstellung von Lea. Viele Boulevardtheater amüsieren sich über Männer, die gerne eine Frau wären und stellen sie deshalb dilettantisch geschminkt und „verkleidet“ dar. Nicht so Uli Hochs Inszenierung: Lea wird von einer Frau gespielt. Ist sozusagen von Anfang an eine „richtige“ Frau, wenn auch etwas unsicher hölzern, was sie gewollt wie ein Roboter erscheinen lässt.

Angelegt ist das Ernstnehmen des Genderthemas bereits im Text: Dem mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Oliver 4.0 fällt auf, dass Emmas Vater eher wie eine Mutter aussieht. Lea fühlt sich verstanden, erklärt, dass sie seit 50 Jahren davon träumt, eine Frau zu sein, da sie im falschen Körper geboren sei. Oliver findet den Gedanken nachvollziehbar: Einen Traum, den man seit 50 Jahren träumt, müsse man leben, sonst werde dieser zu einem Alptraum. Und auch er bekennt einen Traum zu haben: Er möchte ein Mensch sein und echte Gefühle spüren.

Oliver 4.0 scheitert allerdings bei der „Menschwerdung“. Er entwickelt zwar Gefühle, die auch von Emma erwidert werden, merkt aber selbst, dass er nur programmiert ist, dass die Gefühle nicht echt sein können. Er empfindet Emotionen zwar als schön, merkt aber, dass er sie nicht beherrschen kann. Unheimlich ist eine Szene, in der er von Lea Sex fordert, obwohl er zuvor in Emma vermeintlich verliebt war. Diese Erkenntnis macht ihn so wütend, dass er richtig ausrastet. Er erzählt sinnlose Witze, schreit, die Worte „hängen sich auf“. Emma und Lea sind entsetzt. Systemzusammenbruch. Wieder zu sich gekommen, verspricht er Emma, dass dies nicht wieder vorkomme. Er sei defekt. Mit einem Reset Knopf bringt er sich selbst zurück in die Werkseinstellung, wird wieder zum steifen Haushaltsroboter wie zu Anfang und entschwindet mit maschinenartig steifen Schritten rückwärts aus dem Bühnenbild- und Emmas Leben.

Genau vor dieser Gefährlichkeit der „mutierten“ künstlichen Intelligenz warnte wiederholt der „einfache, bodenständige“ mit Pfälzer Dialekt sprechende Techniker und „Roboterfänger“. Intuitiv spürt er die Gefährlichkeit der Technik. Deshalb versucht er alle „mutierten“ Roboter aller Hersteller einzufangen. Vielleicht ist er sogar er der wirkliche Held der Geschichte? Sogar K.I. selbst warnt selbsterkennend das Publikum: Menschen seien lächerliche Kreaturen, die glauben Gott, spielen zu können…

Inzwischen ist die Entwicklung in der Realität viel weiter fortgeschritten – es gibt bereits selbstlernende Systeme…Wann werden sie wirklich Bewusstsein und Gefühle entwickeln?

Vor der Leistung der Schauspieler kann man nur Respekt haben: Coralie Wolff ist eine Frau, spielt einen Mann, der sich einer Geschlechtsumwandlung unterzieht und dazu noch zeitweise vorgibt, ein Roboter zu sein. Boris Ben Siegel meistert die Doppelrolle des steifen Roboters und des Machos. Alleine durch Gestik, Mimik und Sprechweise schafft er es, das langsame Aufkommen von Gefühlen im Roboter darzustellen. Die Bewegungen werden organischer, der Blick sanft. Markus Maier schließlich spielt überzeugend den Pfälzer Naturburschen. Und Anja Kleinhans zeigt so viel Mimik, dass man sie auch ohne Sprache verstehen könnte.

Vorstellungen

Open Air: 13., 14., 15., 21., 22., 28. & 29. Juni, 19.30 Uhr, Wiese vor dem Casino Turm Freinsheim. Indoor: 5.-9.11.24. Juni jeweils 19 Uhr im Von-Busch-Hof Freinsheim. . 23 EUR

Corona Information

Für unsere Vorstellungen gilt die jeweils aktuelle Corona-Verordnung von Rheinland-Pfalz.